30 Jahre später: Jesusmarsch 2024 in Berlin

Vergangenen Samstag sind hunderte Christen singend und betend durch Berlin gelaufen. Swen Schönheit war dabei und erinnert sich an die Jesusmärsche der Vergangenheit.   

Jesusmarsch 2024

Zuerst zögerte ich, ob ich hingehen sollte. Doch als nach 30 Jahren wieder zu einem „Jesusmarsch“ in Berlin eingeladen wurde, musste ich. Als Zeitzeuge der großen Jesusmärsche im wiedervereinigten Berlin 1992 und 1994 war ich neugierig. Viele Erinnerungen von damals kommen hoch. Doch erstmal gilt es den Treffpunkt am Alexanderplatz zu finden, an dem sich nach Schätzung der Polizei 350 Teilnehmer versammeln. Viele von ihnen haben afrikanische Wurzeln. Schließlich wird der „Freedom Marsch“, so der Titel, vom Missionswerk Mission Berlin mit Wurzeln in Uganda veranstaltet. „Berlin ist der Schlüssel zur geistigen Erweckung und Erneuerung in Deutschland. Darüber gibt es seit Jahrzehnten Prophetien. Wir glauben, dass nun die Zeit der Erfüllung gekommen ist“, heißt es auf der Homepage. Der Marsch ist nur der Auftakt zu einer Woche mit öffentlichen „Revival Meetings“ vom 29. Juli bis 4. August, zu dem die Mission Berlin ins große Estrel-Hotel nach Berlin-Neukölln einlädt.

Während ich diese Zeilen schreibe, läuft die „7-Tage-Mission Berlin“ noch mit einigen internationalen Sprechern und einigen bekannten Pastoren aus Berlin. Parallel dazu ist „Evangelisation in allen 12 Berliner Stadt-Bezirken“ geplant. Gerade erhalte ich Nachrichten von einem früheren Gemeindeglied („Ich bin Augenzeuge“), der aus den Versammlungen berichtet: „Blinde sehen, Lahme gehen, böse Geister werden ausgetrieben.“

Doch zurück zum Auftakt der Woche, dem Jesusmarsch am 27. Juli 2024. „Berlin ist ein Symbol für Freiheit in der Welt“, eröffnet Jimmy Ntale, Leiter der Miracle Center Church in Berlin, die Versammlung. Wir sollten dankbar sein für die Freiheit in unserem Land, auch für Religionsfreiheit: „Die beste Art, uns in dieser Freiheit zu bewegen, ist zu beten, im Gebet etwas zu bewegen.“ Der junge Pastor ist in Uganda geboren und aufgewachsen und seit einiger Zeit in Berlin tätig. „Wir sind hier, um für diese Stadt zu bitten“, fährt Jimmy fort, „und dass die Werte des Herrn zurückkehren in diese Stadt, dass sie für jeden offensichtlich werden!“

Ob dies ein dezenter Hinweis auf den Christopher Street Day ist, der parallel zum Jesusmarsch mit über 70 Wagen durch die Stadt rollt? Als ich später mit der U-Bahn zurückfahren will, finde ich im Wagen keinen Platz mehr. Es sind Hunderttausende, die unter dem Regenbogen feiern. Und hier beten 350 Christinnen und Christen zu Jesus, proklamieren seinen Namen und stehen – so die vorgefertigten Plakate – für biblisch begründete Werte. Zwei Züge, die buchstäblich in die entgegengesetzte Richtung laufen …

Beim Jesusmarsch ist der Lobpreis laut, die Lieder für mich kaum bekannt. Zwischendurch bläst jemand ein Schofar. „Mehr Gott in Berlin!“ heißt die Proklamation. Inhaltlich wird wenig dazu gesagt. Ich gehe mit und stehe doch am Rande. Ich denke mir: Wenn nur der Name Jesus großgemacht wird! Doch meine Gedanken gehen immer wieder zurück: Wie war es damals, drei bis fünf Jahre nach der Wende? Und dann in den Jahren 2000 und 2004, als durch eine neu zusammengesetzte und theologisch breitere Trägerschaft der „Jesus-Tag“ hier in Berlin stattfand?

Jesusmarsch 1992

Jesusmarsch 1994

Eine historische Brücke könnte Walter Heidenreich bauen, der 1994 Vorsitzender im Verein „Marsch für Jesus“ war. Er sitzt auf dem Truck und ergreift dann das Wort. Natürlich erinnert er sich an die Jesusmärsche der 1990er-Jahre: „Jetzt geht es wieder los!“, freut sich „Pastor Walter“, der als „geistlicher Vater in Deutschland“ vorgestellt wird. Seine Zielvorstellung: „Alle großen Städte in Europa sollen erschüttert werden durch die Liebe Gottes und den Namen Jesus!“

Ich bleibe nachdenklich. Kurze Rückblende (und der Griff in mein Fotoarchiv): Wie war es damals? Am 23. Mai 1992 sammelten sich vor dem Palast der Republik (ohne Hammer und Zirkel) über 50.000 Menschen aus dem ganzen Land. Für Ostdeutsche atemberaubend: Wo einst die FDJ aufmarschierte, konnte man nun in aller Freiheit den Gott der Bibel feiern!

Gleich zwei Jahre später, am 25. Juni 1994 versammelten sich noch mehr Menschen, diesmal in der City West. „Das muss man sich mal vorstellen“, staunte eine Berliner Tageszeitung damals: Der Kopf des Demonstrationszuges stand schon kurz vor dem Olympiastadion, „als das Zugende der Prozession gerade auf die Hardenberg-Straße bog [Bahnhof Zoo].“ 75.000 Menschen feierten den dreieinigen Gott anschließend dort, wo sonst Hertha BSC spielt! Leider distanzierten sich damals führende Vertreter der Kirchen. Im Jahr 2000 war das schon anders – die Christen rückten spürbar zusammen!

Im Jahr 2024 fühlt sich für mich alles anders an. Der Jesusmarsch bleibt eine Randerscheinung. Auf der Homepage der Mission Berlin lese ich: „2024 ist das Jahr für geistlichen Aufbruch in Berlin.“ Ich wünschte es. Aber ich spüre in mir Distanz zu vollmundigen Proklamationen. Ich gehe beim Marsch noch ein Stück mit und bete Jesus an – „gestern, heute und derselbe …“ Der Tag bleibt eine Momentaufnahme, doch in mir arbeiten Fragen grundsätzlicher Art in gleich mehreren Richtungen:

1. Wie begegnen wir Älteren, die Aufbrüche vergangener Jahrzehnte mitverantwortet haben, und Geschwistern aus anderen Nationen, die bei uns ihre Dienste aufbauen?

2. Wird eine junge Generation von Leitern, die für Erweckung und Evangelisation stehen, eine breitere ökumenische Basis suchen? Werden sie sich – ob mit deutscher oder internationaler Herkunft – für die geistliche Geschichte in unserem Land interessieren? Gibt es Kontinuitäten?

3. Und wie können wir junge Leiter und Geschwister aus anderen Kontinenten, die Deutschland auf dem Herzen haben, unterstützen? Sofern sie unseren Rat suchen: Was geben wir ihnen mit? Und was empfangen wir von ihnen?

4. Ich frage mich generell, ob wir als Christen derzeit noch fähig sind, auf die Straße zu gehen: positiv gestimmt, eher einladend als abgrenzend, eindeutig vom Evangelium her. Wofür stehen wir? Wofür wollen wir sichtbar und hörbar werden? Was gibt es für Anliegen „für die Straße“, die in unserem Land von einem breiten Konsens über Inhalt, Auftreten und Zielsetzung getragen werden? Vielleicht haben wir in den letzten Jahren ein Vakuum hinterlassen …

Beim Jesusmarsch 2024 erlebte ich jedenfalls Christen aus anderen Nationen, die es auf ihre Weise füllen. Gott segne sie!


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Swen Schönheit

Swen Schönheit ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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Ein Gedanke zu “30 Jahre später: Jesusmarsch 2024 in Berlin

  1. Swen, danke für Deinen Beitrag. Deine Fragen und Beobachtungen sind auch meine! Wo ist der Kreis Charismatischer Leiter in Deutschland? Wo und wann hört man Ihre Stimme im Land?

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