Henning Dobers erhebt Einspruch gegen eine im Namen der Gendergerechtigkeit gekaperte Sprache.
Seit einiger Zeit gelingt es einigen wenigen, die öffentliche Meinung der vielen in Richtung einer vermeintlich gendergerechten Lebenskultur zu lenken. Es entwickelt sich ein sanfter Druck auf die Gesinnung, in der informell klar ist, wie man zu denken, zu reden und zu handeln hat. Deutlich wird dies an der aktiven und sehr tiefgreifenden Veränderung unserer deutschen Sprache. Genderideologen wissen: Wer die Sprache bestimmt, der hat irgendwann auch Einfluss auf die Herzen und das Handeln der Menschen. Wer künstlich in die Grammatik eingreift, verändert die DNA einer Sprache.
Dass sich jede Sprache auf dieser Welt und ihre Rechtschreibung permanent weiterentwickelt und verändert, ist ein natürlicher Prozess. Worte verschwinden, neue kommen hinzu, andere verändern sich. Begriffe wie „Fräulein“, „Aussteuer“, „Anorak“, „Oheim“, „Gatte“, „Pfennigfuchser“, „Persilschein“, „laben“, „lustwandeln“ und viele andere gebraucht heute kaum noch jemand. Ich persönlich bedaure, dass der Dativ zunehmend den Genitiv verdrängt, aber das ist eine natürliche Entwicklung.
Sprachveränderung von oben: einmal braun, einmal rot …
Nun aber erleben wir wieder einmal, wie aufgrund einer bestimmten Motivation bewusst eingegriffen wird. Dabei müssten wir gerade in Deutschland hellwach und sehr sensibel bei diesem Thema sein. Zweimal wurde in jüngerer Vergangenheit unsere Sprache von oben herab verändert. Immer waren es Ideologien und totalitäre Weltanschauungen – einmal braun, einmal rot. Zunächst wird von oben herab für die Menschen gedacht, dann auf allen Kanälen gesendet. Schließlich wird befohlen und kontrolliert. Es ist wortwörtlich Bevormundung, wir bekommen einen Vor-Mund. Sprachwissenschaftler sprechen von Sprachzensur und Sprachverkrümmung.
Thomas Mann bezeichnete die Auswirkung brauner Ideologie als „Sprachverhunzung“: In den 1930er-Jahren wurde „Portemonnaie“ zu „Geldbeutel“ umbenannt, „Trottoir“ zu „Bürgersteig“ und „Coiffeur“ zu „Friseur“. Auch die Buchstabierung des Alphabets wurde politisch korrekt geändert: Aus B“ wie „Benjamin“ wurde „Berta“, aus „D“ wie „David“ wurde „Dora“, „R“ wie Ruben mutierte zu „R“ wie Richard und aus „S“ wie „Samuel“ wurde „S“ wie „Siegfried“. Auf diese Weise konnte beispielsweise mein Nachname „judenfrei“ buchstabiert werden. In diese Zeit gehört folgerichtig auch die „Entjudung“ des Gesangbuches.
Nach 1945 versuchte sich auch der Sozialismus deutscher Prägung auf diesem Feld. So wurde aus dem Engel die „Jahresendflügelpuppe“ und Weihnachten wurde in „Lichterfest“ umbenannt.
… und heute „bunt“
Heute ist die Sprache verordnende Weltanschauung „bunt“. Unsere Kommunikation wird aus Gründen politscher Korrektheit verkompliziert und zu einem Bürokratiemonster aufgebläht. Der Dichter Reiner Kunze, der biografische Erfahrung mit einer deutschen Diktatur hat, bezeichnet dies als „abstrakt“, als „entfremdetes Deutsch“ und „papierene Sprache“. Gesprochene Sprache wird zur „Schluckauf-Sprache“ (etwa Zuhörer:innen, Christ:innen, Konfirmand:innen-Untericht) und Arbeitgeber suchen „ein/e/en Mitarbeiter:in m/w/d“. Und in der Kirche gibt es bei Pfarrern schon lange keine Brüder und Schwestern mehr, sondern nur noch „Kolleg:innen“.
Die Kommunikation wird missbraucht und verbogen, etwa wenn in England aus „Muttermilch“ jetzt „Menschenmilch“ wird (um Transmänner nicht auszuschließen). Begriffe wie „Vaterland“ und „Muttersprache“ landen auf der Sondermülldeponie rassistischer und sexistischer deutscher Worte. Und Kinder haben nicht mehr Vater und Mutter, sondern Elternteil 1 und Elternteil 2.
Biologisches Geschlecht ist nicht gleich grammatisches Geschlecht
Ideologen scheuen sich nicht, die Regeln der Grammatik zu ignorieren oder mit erheblicher Kraftanstrengung zu ändern. Nur zur Erinnerung: Es ist zu unterscheiden zwischen Sexus (das biologische Geschlecht, also Mann oder Frau) und Genus (das grammatische Geschlecht, also männlich, weiblich und sächlich). Das eine muss mit dem anderen in der Sprache nicht übereinstimmen. Es gibt „das Mädchen“, „das Kind“, „den Menschen“, „den Busen“ einer Frau und „die Eichel“ am männlichen Glied. „Der Klügere gibt nach“ meint nicht Männer, sondern drückt eine Lebensweisheit aus.
Ein Psalm wird zum Sprachungetüm
Oder nehmen wir als Beispiel die Psalmen. Würden wir sie gendermotiviert anpassen, wäre es schlicht unmöglich, sie im Gottesdienst noch mit einem natürlichen Sprachfluss gemeinsam zu beten. Selbst einer der kürzesten Psalmen der Bibel (Psalm 127) würde so zu einem Sprachungetüm:
„Wenn der HERR nicht die Stadt behütet, so wacht der/die Wächter/in umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freund:innen gibt er es im Schlaf. Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk. Wie Pfeile in der Hand eines/einer Starken, so sind die Söhne/Töchter/ Diversen der Jugendzeit. Wohl dem/der, der/die seinen/ihren Köcher mit ihnen gefüllt hat! Sie werden nicht zuschanden, wenn sie mit ihren Feind:innen verhandeln im Tor.“
Wo bleibt der ganz große Aufschrei? Der gesammelte Protest der Germanisten? (Oder besser „Germanistinnen und Germanisten“? Nein, wieder falsch. Korrekt wäre „Germanist*innen (m/w/d)“. Wobei das „m“ am Anfang ja wieder sexistisch ist. Man/frau/es müsste – natürlich streng gerecht – die Reihenfolge der Buchstaben in der Klammer immer wieder ändern.)
Kirche segelt auf der Welle mit
Warum schreibe ich darüber in einem GGE-Blog? Weil es bei diesem Thema um ein zutiefst geistlich-theologisches Thema geht und weil die „gendergerechte Sprache“ schon längst zum Standard in kirchlichen Texten geworden ist. Aus meiner Sicht offenbart ein ideologischer Gender-Begriff das Bestreben des Menschen, sein auf Gott hin geschaffenes und von Gott definiertes Geschöpf-Sein zu verlassen. Der moderne genderphile Mensch versteht sich nicht mehr primär als Ebenbild des Schöpfers, sondern definiert sich als autonom. Er autorisiert sich selbst festzulegen, wer er ist, wie er leben will und was gut und böse ist.
Das Thema „gendergerechte Spache“ berührt uns als Christen, als Kirche und Gemeinde wesentlich: Weil der Mensch die Welt ohne Gott neu entwirft. Weil die evangelische Kirche in dieser Frage zumeist auf den Wellen des Mainstreams mitgesegelt ist und zuweilen diese Entwicklung aktiv vorangetrieben hat. Weil Theologie sich unter anderem intensiv mit dem Wort beschäftigt und damit eine der Germanistik sehr verwandte Disziplin ist. Und weil es in unserer Gesellschaft keine wirklich offene und freie Diskussion über dieses Thema gibt, sondern permanent über unsere Köpfe hinweg sprachliche Fakten geschaffen werden.
Bitte endlich offen diskutieren!
Viele fühlen sich angesichts dieser Entwicklungen existenziell unwohl, aber sie schauen weg oder tauchen ab. Wir erleben, wie unsere Sprache, unsere Worte und damit unsere Identität aus ideologischen Gründen beschädigt und unser Miteinander verkompliziert wird. Das reicht bis tief hinein in Kirche und Theologie. Ich wünsche mir endlich eine offene Diskussionskultur zu diesem Thema. Gerne kontrovers. Aber bitte nicht einfach weiter mitschwimmen im Mainstream.
„Sprachverhunzung“ – das Wort trifft es m.E. genau, was da gemacht wird. Die eigene Muttersprache ist etwas zutiefst Persönliches. Wer da versucht, „von oben herab“ einzugreifen und zu bestimmen, wie wir zu sprechen oder was wir zu lesen/hören haben, vergreift sich an der innersten Persönlichkeit des Menschen. Verständlich, dass das Widerstand hervorruft.
Dazu sehr lesenswert:
https://www.feinschwarz.net/worte-sind-nicht-unschuldig-warum-die-rede-von-gender-ideologie-genderismus-und-gender-lobby-in-kirchlichen-kreisen-tabu-sein-sollte/
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Reinhart,
vielen Dank für Ihren Hinweis auf einen das Thema aufgreifenden Artikel in dem theologischen Feuilleton „fein|schwarz“. Bedauerlicherweise verweisen Sie lediglich auf den Artikel ohne Ihre eigene Position zum Sachverhalt darzulegen. So muss ich vermuten, dass Sie die Inhalte des Artikels aufgrund Ihrer Leseempfehlung teilen.
Der Artikel bedient leider das übliche Klischee, dass Menschen und in diesem Fall insbesodnere Christen, die eine kritische Einstellung zur Gender-Entwicklung bzw. zur aktiv durchgesetzten Spracherziehung haben, letztlich viele Gemeinsamkeiten mit dem rechten Spektrum der Gesellschaft haben. Leider wird dadurch ein Gespräch nicht einfacher sondern wegen der Polarisierung deutlich erschwert. Der Artikel befördert leider genau das, was mir gegenüber immer wieder Gemeindeglieder aus ganz unterschiedlichen Kirchengemeinden zum Ausdruck bringen: sie fühlen sich eingeschüchtert, verunsichert und unter Druck gesetzt, weil das, was sie sagen möchten und empfinden, von anderen evtl. als „rechts“ gewertet werden könnte. Und weil „rechts“ aufgrund unser Vergangenheit mit guten Gründen sehr krtisch gesehen wird, sie aber weder rechts sind und schon gar nicht als rechts gelten wollen, schweigen sie.
In dem von Ihnen als „lesenswert“ markierten Artikel zitiert die Autorin im ersten Teil größtenteils eigene Studien und kommt nach meinem Verständnis im Verlauf ihrer Ausführungen zu dem Schluss, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Genderkritik (sie spricht häufig von „genderfeindlich“ und „antifeministisch“) und der Gewaltbereitschaft der rechten Szene. Ich kann die Seriosität der Studien nicht nachprüfen, allerdings fällt auf, dass die Autorin nur Studien zitiert, die ihre Meinung untersützen. Ich habe keine selbstkritischen Zeilen in dem Artikel gefunden oder zumindestens Hinweise auf Literatur oder Studien, die zu anderen Schlüssen kommen.
Ich staune, wie ein derat polarisierender Artikel in universitärem Ambiente neutral als „lesenswert“ empfohlen werden kann. Dass aus bestimmten politischen, soziologischen und / oder psychologischen Gründen Kritik an anderen Positionen in der Gender-Debatte geäußert wird, belebt und vertieft die Diskussion. Genau das wollte mein Blog bewirken. Endlich miteinander reden und nicht übereinander. Dass aber bestimmte andere Meinungen in der Gender-Debatte mit moralinem Anspruch als „tabu“ zu gelten haben und ausgerechnet in einem theologischen Feuilleton keine theologischen Argumente gebracht werden, ist auffällig und unverständlich zugleich, zumindest aber merkwürdig.
Aus meiner Sicht bewirkt die Autorin genau das, was sie kritisiert: die Radikalisierung der sogenannten oder angeblichen Rechten. Nun weiß ich natürlich nicht, wie weit links die Autorin steht. Aber je weiter sie links steht desto schneller wird bereits die Mitte zu rechts. Ich wüsste gerne wo bei der Autorin „rechts“ anfängt?
Vielen Dank für dieses klare Statement! Leider merken noch zu wenige, dass man sich mit dieser Sprachakrobatik auch eine hochproblematische Ideologie einhandelt. Umso wichtiger, dass wir gemeinsam darauf aufmerksam machen.
Sprache hat immer Vorstellungen von Realität geprägt und tut das auch jetzt, es ist eine der grundlegenden Eigenschaften von Sprache. Das ist ja auch der Grund, warum antidemokratische Regime sich bemühen konkret Einfluss auf Sprache zu nehmen. Allerdings ist Ihre Haltung Sprache auf eine bestimmte Art verwenden oder nicht verwenden zu wollen auch nicht neutral und kann es auch gar nicht sein. Wenn Sie eine deutsche Sprache verteidigen, in der es unmöglich ist von Personen zu sprechen ohne ihnen ein Geschlecht zuzuweisen, dann verteidigen Sie damit auch ein bestimmtes Weltbild und zwar eins in dem Menschen restlos in Frauen und Männer eingeteilt werden (können). Prinzipiell gestehe ich Ihnen zu ein Weltbild zu vertreten, wir alle tun das, aber Ihr Weltbild schließt mich, als nichtbinäre Person und weder Frau noch Mann, aus und dagegen wehre ich mich. Erscheint Ihnen das verständlich?
Sie suggerieren in Ihrem Beitrag, dass gendergerechte Sprache etwas sei, was ‚von oben verordnet‘ würde. Meine Erfahrung ist eine ganz andere. Ich muss sowohl mit Privatpersonen als auch mit Behörden und potenziellen Arbeitgeber:innen oft darüber streiten, dass sie wenigstens für mich und in meiner Anwesenheit keine Sprache verwenden, die mir ein Geschlecht zuweist, das nicht meins ist. Dieses absolute Minimum ist keine Selbstverständlichkeit in meinem Leben. Wenn jemand über Sie als ‚Kollegin Dobers, die mir freundlicherweise ihre Predigt geschickt hat‘ spräche und das nicht nur einmal, sondern praktisch täglich, glaube ich nicht, dass Ihre im Text vorgebrachten Argumente Ihnen noch so überzeugend erschienen. In meinem Umfeld kämpfen Menschen dafür, dass ich und andere Menschen in ähnlichen Situationen sprachlich sichtbar werden und ein Mindestmaß an Respekt erfahren. Da sehen wir bisher nicht viel was ‚von oben‘ kommt, um uns darin zu unterstützen. In mehreren Bundesländern ist es verboten an Schulen gendergerechte Sprache zu benutzen. Das bedeutet, dass ich als Lehrperson mich selbst nicht zutreffend als Lehrer:in vorstellen und benennen darf. Da erlebe ich die Bevormundung ‚von oben‘ auf ganz andere Art als Sie es beschreiben.
Zum dritten und letzten großen Kritikpunkt:
Natürlich sind grammatikalisches und „biologisches“ Geschlecht unterschiedlich. Aber sie sind nicht vollständig unabhängig voneinander. Wenn man Sie, wie im Beispiel oben, als ‚Kollegin‘ bezeichnen würde, wäre das kein grammatikalischer Fehler, aber ich vermute mal Sie würden es trotzdem gern korrigiert sehen und das, meiner Ansicht nach, aus gutem Grund.
Falls Sie den Eindruck haben es lohne sich ein persönliches Gespräch anzustreben, geben Sie mir gern bescheid.
Sehr guter Beitrag. Vielen Dank.
Sprachwissenschaftler stellten fest, dass die Sprachvielfalt im Laufe der Zeit immer mehr abgenommen hat. Traurigerweise haben das in Deutschland die Diktaturen noch verstärkt.
Neben dem Gendern geht es ja auch noch um politisch korrektes Reden. Und das auch innerhalb unserer Kirche. Viele Begriffe, verschwinden einfach. z.B.: „Heiland“, Gottes Wort“, „Jungfrauengeburt“,… Oder man spricht darüber, nachdem man sich dafür entschuldigt hat. z.B: „Mission“, „Bekehrung“, „Wunder“,…
Vielen Dank an die ganze GGE, die dieser Errossion entgegensteht. Das ermutigt mich in dieser Zeit, die Hoffnung für die Kirche nicht aufzugeben.
Für die Kommunikation unter Christen wünsche ich mir, dass sie fair sein sollte. Dazu gehört das Bemühen, das Anliegen des Gegenübers zumindest erst einmal verstehen zu wollen. Deswegen muss man noch nicht alles gut finden. Aber dieses Bemühen um Verstehen, das sollte doch mindestens zu spüren sein.
Ich verstehe, dass der Beitrag sich mit manchen Stilblüten und zum Teil auch wirklich nicht idealen Lösungsversuchen einer sensiblen Sprache kritisch auseinandersetzt. Aber dass er mit keinem einzigen Satz sich ernsthaft mit dem Anliegen dahinter auseinandersetzt, das finde ich ungenügend. Er schreibt, es werde „aus Gründen politscher Korrektheit verkompliziert“. Ja was meint denn diese „politische Korrektheit“? Ist das Anliegen gerechter Verhältnisse zwischen Männern und Frauen aus Sicht des Autors etwa kein unterstützenswertes christliches Anliegen? Und wieso das Bemühen um eine gerechte Sprache, die Ausgrenzung und Unterordnung vergangener Jahrhunderte überwindet, bedeuten soll, dass „der Mensch die Welt ohne Gott neu entwirft“ – das hat sich mir auch nicht erschlossen. Ich kenne sehr engagierte Christen, denen es von ihrem Glauben her ein Anliegen ist, die Ungerechtigkeiten zu vermeiden, an denen wir oft beteiligt waren und sind.
Deshalb: Über die angemessenen Lösungen können und sollten wir gern miteinander streiten. Aber bitte seien wir als Christen so ehrlich, dem Gegenüber nicht pauschal unlautere Interessen zu unterstellen.
Lieber Herr Lamprecht,
vielen Dank für Ihren Kommentar. In der Tat, mein Beitrag stellt das Gesamtthema verkürzt und pointiert dar, was aber an dem Medium „Blog“ und dessen beschränker Länge liegt. Es ist ein Diskussionsbeitrag, der bestimmte Aspekte besonders stark hervorhebt und sicher nicht ausgewogen ist. Diejenigen, die sich mit guten Gründen nicht dem Trend einer unnatürlich veränderten, gegenderten Sprache anschließen wollen, erleben sich als zunehmend in der Defensive, weil argumentiert wird, sie wären gegen Geschlechtergerechtigkeit – was zu belegen wäre, aber meist nicht geschieht. Unter „politsch korrekt“ verstehe ich, wenn z.B. das alte Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ so bearbeitet wird, dass der Begriff „Neger“ nicht mehr vorkommen darf. Noch kritischer wird es aus meiner Sicht, wenn die Bibel so übersetzt wird, dass am Schluss „Die Bibel in gerechter Sprache“ dabei herauskommt, was impliziert, dass sie vorher angeblich ungerecht war. Es geht aber gar nicht um das extern hineingetragene Kiterium „gerecht“ bzw. „ungerecht“ oder um unsere jeweilige zeitgeistige und sich ständig ändernde Auffassung oder unsere Geschmäcker oder Wünsche, sondern um eine präzise Übersetzung. Ein gerechtes Miteinander von Frauen und Männern wird m.E. durch Gendersprache zu keinem Zeitpunkt konstruktiv gefördert sondern eher destruktiv auf die Ebene des Machtkampfes reduziert. Auch das leider in bestimmten Bereichen immer noch vorhandene Lohngefälle wurde bisher zu keinem Zeitpunkt durch Gendersprache gelöst.
Sorry, lieberHenning, aber als Mitglied der Grünen und Feministin stößt mir Dein Text übel auf. Natürlich kann man/frau alles übertreiben, auch das Gendern, aber gendern in einem Atemzug mit dem Unrechtsregime der Nazis zu nennen ist geschichtsvergessen.
Viel zu lange waren Frauen Menschen zweiter Klasse, und die Gleichstellung ist z.B. dank Pay-Gap weiter klaffend und himmelschreiend. Man kann das Kind mit dem Bade ausschütten, aber vorher ist es Zeit, Geschlechtergerechtigkeit walten zu lassen.
Liebe Anne-Marie,
vielen Dank für den kritischen Kommentar. Mein Anliegen ist, dass über das Thema offen diskutiert wird, insofnern bin ich froh, wenn es hier geschieht. Gendergerechte Sprache implizit vom Titel her, dass es vorher anscheinend ungerecht war (wie zum Beispiel die Übersetzung „Bibel in gerechter Sprache“). Dem widerspreche ich. Gendergerechte Sprache löst auch zu keinem Zeitpunkt an keinem Ort das Problem des pay gap. Dass ich einen Vegleich mit den deutschen Diktaturen des letzten Jahrhunderts anstelle, ist gerade nicht geschichtsvergessen, sondern ganz im Gegenteil geschichtsbewusst. Es ist die Begegnung mit älteren Menschen, die ich als Pfarrer häufiger habe, die mir sagen: „Das kennen wir! Das haben wir schon mal erlebt, nur unter anderen Vorzeichen“. Es ist die Grundhaltung einer systematischen Umerziehung der Gesellschaft, die ich kritisiere.
Du sprichst mir aus der Seele. Ich bin oft schon angeeckt. Allein ein Satz: ich lehne es ab. Es bringt doch keine Gleichberechtigung oder? Also wir müssen mutig sein.
Interessant wäre, herauszufinden, wie andere Länder und Sprachfamilien mit diesem Thema umgehen. Ist das ein Thema eher des Westens und weniger des Ostens?
Vielen Dank für diesen Beitrag, der mir aus der Seele spricht.
Vor allem, weil er so schön aufzeigt, wie bei allen (ja durchaus nachvollziehbaren) Versuchen, allen gerecht zu werden, wieder neue Ungerechtigkeiten entstehen (Reihenfolge m/w/d). Die volle Gerechtigkeit für jeden in jeder Situation schaffen zu wollen macht alles nur immer komplizierter. Wo ist uns denn bloß das Abstraktionsvermögen (Stichwort „grammatisches Geschlecht“) abhanden gekommen?!