Beten wir jetzt für Wahl und Wähler


Noch gut drei Wochen bis zur Bundestagswahl: Frank Heinrich gibt Anstöße fürs Gebet und hinterfragt Haltungen zu Politik und Politikern. 

Herr Heinrich, Sie saßen zwölf Jahre lang als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Was sollten wir für die Bundestagswahlen am 23. Februar beten? 

Ich bitte darum, für alle zu beten, die ein politisches Amt innehaben, aber auch für die Kandidaten, die sich jetzt zur Wahl stellen: Dass sie in dieser besonders windigen Zeit ein breites Kreuz oder eine „harte Stirn“ haben, wie es im Buch des Propheten Hesekiel im Alten Testament genannt wird (Kap. 3,9). Damit sie einen klaren Kurs im Herzen und im Kopf behalten, auch wenn es drunter und drüber geht, und dabei ein sensibles Herz bewahren „im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen“, wie es in unserem Grundgesetz steht. Dass sie also vertikal (nach oben) und horizontal (zu ihren Mitmenschen) hören können und empfindsam bleiben. 

Der sächsische Abgeordnete Marco Wanderwitz hat vergangenen November hingeworfen, um sich und seine Familie zu schützen. Er kandidiert nicht mehr für den Bundestag. Das spricht ja deutlich vom aggressiven und aufgeheizten Klima, mit dem Politiker klarkommen müssen. Was sollten wir als Christen über das Gebet hinaus tun? 

Zuerst sollten wir nicht immer nur auf das Negative schauen. Das setzt sich nämlich fest: Sehen wir die drei Prozent an schlechten Beispielen und sagen wir dann, die 97 anderen Prozent sind auch so? Aus dem Sehen wird ein Denken, es formen sich Verallgemeinerungen und Vorurteile, und daraus fließt dann, was wir reden oder posten und schließlich tun. Manche gehen nicht mehr wählen, andere werden aggressiv und sind fähig zu verbalen oder sogar tätlichen Angriffen. Es ist wie beim Domino: Ein Stein stößt den nächsten um, die Steine werden dabei aber immer größer. Wir sollten uns fragen: Wie sehen wir unsere Politiker? In welcher Haltung beten wir für sie? 

Welche Haltung sollte das sein?

Einfach nur für Politiker als „Haifische“ oder „Raubtiere“ oder … zu beten, spiegelt nicht die Haltung wider, mit der mein Gebet bei Gott ankommt. Man muss politische Verantwortungsträger nicht mögen, aber man sollte sie mit Respekt und Achtung behandeln. Die Augen zu verdrehen, wenn ich den oder die jetzt wieder auf Wahlplakaten sehe, passt nicht zu dem, wozu uns Gott ganz allgemein aufruft. Wir alle wissen, dass Gott will, dass wir uns anständig verhalten. Komischerweise machen manche bei Politikern da eine Ausnahme. 

Sie haben als Bundestagsmitglied auch von Christen heftige Ablehnung erfahren, bis hin zu aufgekündigter Freundschaft und handfester Bedrohung … Wir sollten also auch für Mitchristen und ihre innere Haltung (und unsere) beten? 

Absolut. Die „Obrigkeit“, das sind am Ende auf eine gewisse Weise wir alle. Wir sind das Volk. Es würde helfen, wenn wir einen gnädigeren Blick hätten für die „Meise“, die jeder von uns hat, auch Politiker – nur steht bei denen immer eine Kamera daneben oder ist ein Mikrofon um die Ecke. Dass wir bei diesem Hass, bei dieser Hetze nicht mitmachen sollten, das glaube ich kann man voraussetzen. Und wir müssen besser werden in der Kontroverse, im Nicht-Übereinstimmen. Statt mich zu verweigern eben auch mal mit dem für mich „geringeren Übel“ leben. 

Es ist das Wesen der Demokratie, dass man Kompromisse sucht. Wir sehen seit Jahren, dass es schwieriger wird, funktionierende Koalitionen zu bilden. Keine Partei kann da 1:1 ihr Wahlprogramm umsetzen …

Ganz genau. Und da müssen wir wohlwollender, gnädiger werden, auch versuchen mehr zu verstehen. Und wenn wir etwas nicht verstehen, ist Schweigen vielleicht auch mal die bessere Option. Uns tiefer informieren, nicht reflexhaft nur auf Negatives gucken, nachdenken, nicht gleich draufhauen.

Im Neuen Testament steht ausdrücklich, dass wir für unsere Regierungen beten sollen (1. Brief an Timotheus, Kap. 2, V. 1-2). Und der Römerbrief drückt große Wertschätzung gegenüber der „Obrigkeit“ aus – als von Gott angeordnet und als Garantin von Recht und Ordnung (Kap. 13, V. 1-7) in der Gesellschaft. 

Im Alten Testament wurde zum Gebet für die Stadt aufgerufen (Jeremia, Kap. 29, V. 7) – und das war Babylon, eine Stadt, die ein Symbol für Sünde und Feindschaft gegen Gott war! Die dorthin verschleppten Juden sollten zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, Häuser bauen, Gärten pflanzen, heiraten, Geschäfte machen, sich also im konstruktiven Sinn an der Gesellschaft beteiligen. Sorry, aber es gibt für uns heute keine Entschuldigung dafür, nicht wählen zu gehen, außer man ist ins Koma gefallen – oder in Einzelhaft gekommen und konnte keine Briefwahl mehr beantragen. Wenn man nicht wählen geht, unterschreibt man ja einfach das Wahlergebnis; dann muss man auch vier Jahre schweigen, weil man es so hingenommen hat. Wählen zu dürfen ist ein Recht, das sich Leute in unserem Land mit Blut und Tränen erworben haben. Und wenn man nicht weiß, wen man wählen soll, muss man eben ein bisschen Arbeit reinstecken. Bei der Wahl der Einzelperson – der Erststimme – sollte man sich erkundigen: Wie ist der- oder diejenige drauf, was vertritt der? Bei der Wahl einer Partei – der Zweitstimme: Wo ist die größte Schnittmenge mit meinen Überzeugungen? Da aber dann nicht nur auf ein Thema allein gucken. Da muss man sich schon mal Arbeit machen. Aber es geht doch um unser Land – und auch darum, wie wir unseren Glauben hier leben können. 

SICH INFORMIEREN UND BETEN!

Bei Gebet für die Regierung kann man einen wöchentlichen Newsticker bestellen mit Infos fürs Gebet. Der überkonfessionelle Dienst von Klaus-Helge und Gabriele Schmidt lädt außerdem zum Beten im Regierungsumfeld in Berlin ein und zum 24/7-Gebet.

Auch der Arbeitskreis Politik der Evangelischen Allianz in Deutschland ruft zum Gebet für die Bundestagswahl auf.

ZUR VERTIEFUNG

Der Berliner Arbeitskreis Politik der Evangelischen Allianz gibt alle zwei bis drei Monate Meldungen zu aktuellen Themen heraus. Auf der Website kann man dazu einen Newsletter bestellen.

„Miteinander reden“, Magazin GEISTESGEGENWÄRTIG (Ausgabe 3 – 2024), online als pdf, als Print-Exemplar kostenfrei nachbestellbar unter info@gge-deutschland.de.

Frank Heinrich, Anna Lutz: „Ich hatte mir vorgenommen, Mensch zu bleiben“. 12 Jahre als Christ im Deutschen Bundestag. Brunnen, Gießen 2023.

Martin Knispel, Norbert Schäfer: „Berliner Gespräche“. Politiker über Glauben, Werte und Verantwortung. Francke, Marburg 2017.

Peter Dausend, Horand Knaup: „Alleiner kannst Du gar nicht sein“. Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst. dtv, München 2020 (Sonderausgabe Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2021).

Frank Heinrich

Frank Heinrich ist Politikbeauftragter der Evangelischen Allianz in Deutschland und mit Reinhardt Schink deren Vorstand. 2009 bis 2021 war er Mitglied des Deutschen Bundestages.

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