Kirche, so gelingt dein Neustart

Statt auf den Verfall zu warten, sollten wir fragen: „Wie leitet man eine Ortsgemeinde ohne Pfarrer?“ – Holger Bartsch glaubt: Nur, wenn wir die Erosion der Kirchenstrukturen radikal zu Ende denken, kommen wir heute geistlich in die Gänge.

Wie oft habe ich mich schon dabei ertappt, Sätze, die mit Kirche zu tun haben, mit einem „Noch“ einzuleiten. Noch haben wir Christen in Ostdeutschland einen Anteil von 25 Prozent an der Bevölkerung (laut einer Eurobarometer-Umfrage im Dezember 2018). In den sächsischen Großstädten sind es nur noch 12 Prozent. Bei uns gibt es noch eine Jugendgruppe. Bei uns sind noch zwei Pfarrer in der Gemeinde zu Gange. Und auch in meinem Umfeld höre ich immer dieses „Noch“. Hier hat die Kirche noch Zuspruch …

Dieser Sprachgebrauch suggeriert für Kirche und Glaube, dass es nur einen einzigen Weg in die Zukunft gebe. Er bestehe in Abbau und Erosion des Bekannten.

Nun könnte man das „Noch“ einfach vermeiden und die Tatsachen schönreden. Aber hilft das? Eine andere Erzählung muss her, die uns aus dem „Noch“-Narrativ herausführt.

Stellen wir uns das Ende doch mal lebhaft vor …

Mein Vorschlag: Lasst uns die Geschichte zum „Noch“ einmal tatsächlich und komplett zu Ende erzählen. Lasst uns das „Noch“ ernst nehmen, alles noch Bestehende theoretisch zu Ende denken und uns lebhaft vorstellen, wie es ist, wenn es vorbei ist. Beispiele für einen kompletten Rückzug von Gemeinden aus Dörfern und Stadtteilen gibt es ja auch schon.

Wie wäre das, wenn wir das bisherige Format vom Pfarrer und seiner Ortsgemeinde zu Ende denken, bevor es zu Ende ist? Stecken wir doch einmal Energie in diese Frage. Wie wird eine Ortsgemeinde ohne Pfarrer geleitet? Wie fühlt es sich an, wenn der nächste Pfarrer weiter weg wohnt? Welche Rolle nimmt der Pfarrer ein, der für drei bis zehn Ortsgemeinden zuständig ist, wenn jeden Sonntag in den kleinen Ortsgemeinden eine Gruppe von Betern am Altar steht und zur Anbetung einlädt?

Einfach nur abwarten ist tödlich

Wir könnten auf dem Land auch warten, bis kein hauptamtlicher Kirchenmensch mehr im Pfarrhaus wohnt. Wir könnten warten, bis nur noch die hochflexiblen Kirchenmitglieder den Gottesdienst an wechselnden Orten besuchen, wo er vom Pfarrer gehalten werden kann. Wir könnten warten, bis die Kirche vor Ort als öffentlicher und sichtbarer Ort der Anbetung Jesu Christi nicht mehr gebraucht wird. Dann wird ein Neustart der Gemeinde Jesu Christi wahrscheinlich nur noch mit Missionaren möglich sein, die von außen dorthin kommen.

Offen werden für die Impulse des Heiligen Geistes

Am Ende dieser Übung werden wir offen sein für die Impulse des Heiligen Geistes heute. Wir leben so „in der Schule des Heiligen Geistes“ (Paul Toaspern). Wir werden die Erfahrungsräume des Heiligen Geistes neu entdecken.

Poitiers: Ein Modell macht Mut

Ein Beispiel für einen erfolgreichen Modellversuch, trotz des geplanten und durchgeführten Rückzugs der Institution Kirche aus den Landgemeinden, ist die „Basis-Equipe“ (dt. „Basisteam“) in der französischen katholischen Erzdiözese Poitiers. Einem fünfköpfigen Basisteam wird vom Bischof die Verantwortung für das kirchliche Leben vor Ort übertragen; heute gibt es dort mehr als 300 dieser kleinen, von Laien geleiteten Lokalgemeinden. Der Neustart von Gemeinde bei uns, mit Nähe zu den Menschen im Ort und mit Zuhause-Gefühl, wird anders aussehen als dort. Aber er wird gelingen, weil uns die Pfarrer fehlen und die Kirchen als Orte der Anbetung Jesu Christi mitten im Ort stehen.


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Holger Bartsch

Holger Bartsch war 10 Jahre Jugendpfarrer in Chemnitz und ist jetzt Pfarrer für die Kirchen in der Kulturhauptstadtregion Chemnitz 2025. Eins seiner Lieblingsmottos ist: „Weil Jesus lebt, ist jede Krise eine Chance.“

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