Wir warten auf ein neues Pfingsten im 21. Jahrhundert: ein Eingreifen Gottes in unserer Welt, das unsere Vorstellung bei Weitem übersteigt, sagt Henning Dobers. Aber können wir das noch – so dranbleiben wie die Jünger Jesu vor dem ersten Pfingsten?
Die Zeit zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten ist so etwas wie ein „kleiner Advent“, das Warten auf eine andere Ankunft. Jesus ging zwar, jedoch nicht, ohne sich zuvor mit einem Versprechen von seinen Jüngern zu verabschieden. Er befahl ihnen, „Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr – so sprach er – von mir gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen“ – so steht es im 1. Kapitel der Apostelgeschichte (V. 4-5).
Die Jünger taten einfach, was Jesus gesagt hatte
Wie haben die Jünger darauf reagiert? Sie blieben „stets beieinander einmütig im Gebet“ (V. 14). Zehn Tage später war es soweit: „Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort“ (Kap. 2). Ich frage mich: Was wäre eigentlich passiert, wenn die Jünger nicht gewartet hätten? Wenn sie Jerusalem verlassen hätten? Welche Gespräche mögen sie wohl geführt haben in diesen Tagen? Wie war die Stimmung?
Wir kennen das Ende dieser Geschichte: Das Pfingstwunder geschah, sie wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt und predigten in anderen Sprachen. Petrus verkündete einer Menge kraftvoll Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, und es kamen 3000 Menschen zum Glauben.
Können wir noch warten?
Die damals Beteiligten kannten das Ende jedoch nicht. Sie hatten nur das Versprechen Jesu, dass etwas geschehen würde. Wir lesen in wenigen Minuten, was damals zehn Tage dauerte. Oder auch Monate und Jahre, zum Teil Jahrhunderte: Denn viele Geschichten der Bibel beschreiben Situationen des Wartens. Die Menschen damals steckten mittendrin. Sie kannten noch nicht das Happy End, mussten es erglauben, erhoffen, erbeten.
Das ist ein bisschen beängstigend, finde ich. Warum immer diese Warterei? Geht’s nicht ein bisschen schneller? Vor einiger Zeit sagte mir jemand: Die Menschen heute wollen keine Prozesse mehr. Sie wollen schnelle Sofortlösungen. Wartezeit ist verlorene Zeit. Wir neigen zur „Amazon-Mentalität“ (heute bestellen – morgen erhalten).
Was für ein Durchhaltevermögen!
Noah musste warten, bis der Regen sich verzog, und dann noch einmal, bis er die Arche verlassen konnte. Abraham war viele Jahre auf Wanderschaft, er durchlebte und durchlitt ungezählte Jahre des Wartens auf einen versprochenen Nachkommen. Zwischendurch verlor er die Nerven und ging fremd. Isaak wartete auf eine Frau. Josef harrte viele Jahre in einem unverschuldeten Lockdown aus. Israel wartete 400 Jahre auf seine Rückkehr in die Heimat. Als es soweit war, beschwerten sie sich über die Mühsal und über Gottes Bodenpersonal. Hannah wartete darauf, schwanger zu werden. David wartete viele Jahre auf die Erlangung der Königswürde. Er widerstand der Versuchung, sie sich vor der Zeit zu rauben. Das Volk Gottes (Israel) wartete über viele Jahrhunderte auf den Messias. Als er dann kam, entsprach er nicht ihren Erwartungen.
Und die Jünger Jesu blieben gehorsam in Jerusalem und warteten auf die Erfüllung der Pfingst-Verheißung. In diesem Fall dauerte es nur zehn Tage und die Erfüllung kam – typisch Gott! – mit perfektem Timing beim Schawuot-Fest, dem ersten Erntefest Israels im Frühsommer. Also zu einem Zeitpunkt, wo aus vielen Ländern und unterschiedlichen Sprachen Juden angereist kamen, um in Jerusalem zu feiern.
Es lohnt sich …
Die Bibel ist voller Warte-Geschichten, voller Advent. Die Klagelieder fassen zusammen: Es ist „das Beste, geduldig zu sein und auf die Hilfe des HERRN zu warten“ (Kapitel 3, Vers 26). Jakobus, der leibliche Bruder von Jesus, schreibt: „Wartet geduldig, bis der Herr kommt. Muss nicht auch der Bauer mit viel Geduld abwarten, bis er die kostbare Ernte einfahren kann?“ (Jakobusbrief, Kap. 1, V. 15). Oder um es mit einem Wort von Corrie ten Boom zu sagen: „Es lohnt sich, auf Gott zu warten. Er kommt nicht zu früh und nicht zu spät.“ Nicht die Nerven verlieren, nicht vor der Zeit nachhelfen, damit endlich geschieht, worauf man durch göttliche Verheißung mit gutem Grund hofft.
Und wir? Wir warten heute auf ein neues Pfingsten!
Und nun wir: unsere Generation, unsere Zeit, unsere Situation, unsere Kirchen, unsere Gemeinden, unser Glaube und unsere Gottesbeziehung. „Pfingsten21“ steht bevor. Vor einigen Jahren haben wir als GGE zusammen mit katholischen und freikirchlichen Freunden einen Kongress mit diesem Titel durchgeführt. Für letztes Jahr war eine Fortsetzung geplant. Daraus wurde aus bekannten Gründen nichts. Auch in diesem Jahr nicht. Nun stehen wir unmittelbar vor dem eigentlichen Fest. Und doch hoffen und warten wir auf mehr.
Wir nehmen die Überschrift „Pfingsten21“ zum Anlass, weiterhin groß zu träumen, intensiv zu beten und mit Ausdauer zu warten, dass ein neues Pfingsten im 21. Jahrhundert in unserem Land, in unseren Kirchen und Gemeinden und in unserem Leben geschieht. Und je länger wir warten, desto mehr wird deutlich: Es bedarf wirklich eines umfassenden göttlichen Eingriffs, damit eine neue Atmosphäre des Glaubens in unserem Land entsteht. Damit sich nicht noch mehr Blasen und Bläschen in der Gesellschaft bilden, die allesamt in sich geschlossene Systeme sind, die nicht mehr miteinander kommunizieren können und wollen. Es bedarf eines übernatürlichen, barmherzigen und gnädigen Eingriffs Gottes, damit die wachsende Gottlosigkeit, der stärker werdende Egoismus und die zunehmenden Fliehkräfte in unserem Land überwunden werden.
Jetzt ist unsere Zeit der Bewährung
Wir durchleben gegenwärtig eine emotional und geistlich sehr herausfordernde Zeit. Es gibt kaum einen Bereich unseres Lebens, der in den vergangenen anderthalb Jahren nicht durchgerüttelt und durchgeschüttelt wurde. Es ist Bewährungszeit. Zeit, in der unser Glaube und unsere Gemeinde geläutert werden. Wir sind nicht die Ersten, die das erfahren. Viele Personen der Bibel und alle Generationen von Christusnachfolgern vor uns können hier mitreden. Einige wenige habe ich benannt.
Vorsicht vor Hochmut und Verzweiflung
Zu allen Zeiten war die Kirche und waren Gläubige in solchen Phasen versucht, zwei Extremen zu erliegen: „superbia“ (Hochmut) oder „desperatio“ (Verzweiflung). Beide Formen trauen Gott nicht (mehr) zu, dass er eingreift und alles verändern kann. Hochmut bedeutet: ich nehme die Sache selber in die Hand, ich helfe Gott auf die Sprünge, ich schaffe das, ich gehe auf Nummer sicher, ich manipuliere und schaffe schon mal Fakten. Verzweiflung bedeutet: Ich gebe auf, ich resigniere, ich kapituliere vor dem Bösen, ich schütze mein Inneres vor weiteren Enttäuschungen und Verletzungen. Andere Extreme sind Rebellion oder Depression. Auch das erleben wir gegenwärtig und ich vermute, dass viele sich gefühlsmäßig irgendwie einordnen können. Manchmal hängt es auch von der Tagesform und den Nachrichten ab.
Ich habe den Eindruck, dass diese beiden Formen der Versuchung in der gegenwärtigen vorpfingstlichen Adventszeit wieder sehr stark an uns heranbranden. „Pfingsten21“ bedeutet für mich ganz aktuell: Nicht mit hängendem Kopf und mattem Geist auf die Verheißung zu warten, sondern in Gemeinschaft mit anderen in extrem widrigen Zeiten, in Zeiten starker Anfechtungen die innere Spannkraft des Glaubens zu bewahren, dass Gott Wort hält und Gebet erhört. Dies lässt sich auf gesunde Weise auf Dauer nur in Gemeinschaft durchhalten.
Wir halten an Gottes Verheißung fest
Die Zeit zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten ist unser „kleiner Advent“. Sie erinnert uns daran, dass wir immer noch warten. Eine Zeit des Wartens, die sich ganz schön in die Länge zieht. Man ist geneigt, die Nerven zu verlieren, Jerusalem zu verlassen, einfach abzutauchen.
„Pfingsten21“: Ich will trotz meiner Gefühle und entgegen meiner Stimmung an Gott festhalten und glauben, dass Gott Wort hält. Er befahl ihnen, „Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters“.
Wir beten: „Komm, Geist Gottes!“
Vermutlich wird sich Pfingsten im 21. Jahrhundert ganz anders ereignen, als wir es erahnen oder erbitten. Die Jünger damals hatten wahrscheinlich auch keine Vorstellung von dem, was auf sie zu- und auf sie herunterkommen würde. Ziemlich sicher werden all unsere Hoffnungen, Bitten und Sehnsüchte bei Weitem übertroffen werden. Und es wird wohl so sein, dass es keiner verpassen kann, weil es alle und alles erfassen wird.
Unser Gebet besteht nur aus drei Worten: „Komm, Geist Gottes!“. Darum beten wir. Darauf hoffen wir. Das erwarten wir. Das ist „Pfingsten21“ inmitten extrem widriger Zeiten. Gott hält Wort.
Am Mittwoch vor Pfingsten waren wir zu zweit in unserer Kirche und haben an diesem uralten Gebetsort mit vielen anderen am Online-Gebet „Gemeinsam vor Pfingsten“ teilgenommen. Pünktlich zum Veranstaltungsbeginn fing es an zu stürmen und zu regnen, zu blitzen und zu donnern. Es war wie ein Gruß Gottes im Blick auf Kommendes, eine himmlische Ermutigung, weiter im Gebet dranzubleiben und aktiv zu hoffen.