Wie es in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes weitergeht, ist völlig offen. Fadi Krikor schätzt die Lage für uns ein.
Vergangenen Sonntag (8.12.) ließ der syrische Machthaber Bashar al-Assad Land und Herrschaft hinter sich und flüchtete mitten in der Nacht nach Russland. Noch am Morgen bestätigten die syrische Armee und der Regierungschef: Assads Regime ist zu Ende. Die Rebellen der islamistischen HTS-Miliz hatten, gemeinsam mit anderen Aufständischen, weite Teile Syriens sowie die Hauptstadt Damaskus ohne nennenswerte Gegenwehr unter ihre Kontrolle gebracht. Innerhalb von wenigen Tagen stürzte ein Regime, das zuvor am Tropf Russlands, Irans und dessen Verbündeten gehangen und mehr als ein halbes Jahrhundert lang mit harter Hand regiert und Menschen unterdrückt, gefoltert und ermordet hatte.
Fadi Krikor stammt aus Syrien und gibt uns Einblicke, wie die Lage dort mit Israel, aber auch mit Iran und Russland zusammenhängt und wofür wir heute beten können. Ausführlich hat er sich vor wenigen Tagen auch mit Johannes Hartl darüber unterhalten (auf Youtube).
Die gegenwärtige Situation in Syrien ist tief in der geopolitischen Rivalität zwischen Iran und Israel verwurzelt. Syrien war jahrzehntelang ein Verbündeter des Iran und der libanesischen Hezbollah. Diese Allianz stand im ständigen Konflikt mit Israel, insbesondere an dessen Grenzen zu Gaza (Hamas) und zum Libanon (Hezbollah). Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 markierte einen Wendepunkt in dieser Auseinandersetzung. Israel reagierte mit umfassenden militärischen Maßnahmen gegen die Hamas und anschließend gegen die Hezbollah im Libanon.
Nur Show? Islamisten treten auf einmal moderat auf
Nach dem militärischen Vorgehen Israels gegen die Hezbollah und der Unterzeichnung eines Waffenstillstands zwischen Israel und dem Libanon, starteten islamistische Gruppen aus der von der Türkei kontrollierten Region Idlib eine Offensive in Syrien. Diese Gruppen – darunter ISIS– und mit der die Offensive anführenden HTS auch Al-Qaida-nahe Kämpfer – marschierten innerhalb von zwei Tagen bis nach Aleppo und später weiter nach Homs. Unterstützt wurden sie durch gezielte türkische Logistik und Infrastruktur, die die Versorgung mit Waffen, Nahrung und Munition sicherstellte.
Im Vergleich zu 2014 (als ISIS im Nordirak das „Kalifat“ ausrief und Tausende Andersgläubige brutal ermordete) zeigt sich heute ein verändertes Bild der Extremisten:
• Sie treten heute militärisch diszipliniert und einheitlich gekleidet unter der syrischen Oppositionsflagge auf.
• Offene Gräueltaten wie Enthauptungen oder Kreuzigungen werden vermieden, um die internationale Wahrnehmung zu steuern.
• Diese strategische Veränderung lässt auf eine gezielte Einflussnahme durch die Türkei und ihre Nachrichtendienste schließen.
Was bedeutet die Machtübernahme für Christen in Syrien?
Die christliche Gemeinschaft in Syrien steht vor einer unsicheren Zukunft. Geistliche, darunter Bischöfe, Priester und Pastoren, berichten von großer Besorgnis. Die Erfahrungen mit den islamistischen Gruppen während der Jahre 2014, als Christen Opfer von Enthauptungen, Vergewaltigungen und Kreuzigungen wurden, sind noch präsent. Obwohl derzeit keine Gräueltaten verzeichnet werden, bleibt die Angst bestehen, dass sich dies längerfristig ändern könnte – jetzt, wo die Extremisten die vollständige Kontrolle erlangt haben und obwohl sich HTS-Anführer al-Dscholani gemäßigt zeigt.
Ein zweites Afghanistan, Frieden oder Teilung?
Offen ist: Wird al-Dscholani entgegen seiner Beteuerungen (zum Beispiel gegenüber CNN) einen islamistischen Staat schaffen? Wird er die anderen Rebellengruppen integrieren können? Zusätzlich verschärfen geopolitische Interessen die Lage: Der Rückzug des Iran und die Schwächung der Hezbollah hinterließen ein Machtvakuum, das die islamistischen Gruppen für sich nutzten. Ebenso hatte sich Russland zurückgezogen: Durch den Krieg in der Ukraine gebunden, konnte es seine Unterstützung für das Assad-System nicht mehr aufrechterhalten. Israel plädiert öffentlich für eine Aufteilung Syriens entlang ethnischer und religiöser Linien. Die Türkei verfolgt das Ziel, Teile Nordsyriens dauerhaft zu kontrollieren oder einzugliedern.
Bitte betet mit!
In dieser schwierigen und unsicheren Zeit rufe ich alle dazu auf, für die Menschen in Syrien zu beten. Die christlichen Gemeinschaften und andere Minderheiten stehen vor großen Herausforderungen und blicken mit Sorge in die Zukunft. Beten wir für:
• Schutz und Sicherheit für alle Zivilisten, insbesondere für die christlichen Gemeinden.
• Weisheit für die neuen Machthaber, damit sie mit Mäßigung und Gerechtigkeit regieren und nicht zu radikalen Maßnahmen greifen.
• Frieden und Stabilität für das Land, das so lange unter Krieg und Zerstörung gelitten hat.
Trotz der düsteren Aussichten gibt es Hoffnung. Möge die internationale Gemeinschaft dazu beitragen, dass Syrien nicht weiter fragmentiert wird und dass ein inklusives und stabiles System entsteht, in dem alle Bevölkerungsgruppen in Frieden zusammenleben können. Ich hoffe inständig, dass die neuen Machthaber sich für Versöhnung, Aufbau und Gerechtigkeit einsetzen und nicht in alte Muster von Gewalt und Extremismus zurückfallen.
Lasst uns gemeinsam für Frieden beten und dort helfen, wo es möglich ist. Möge Gott die Menschen in Syrien schützen und ihnen eine bessere Zukunft schenken.