Ukraine: Frieden wird nicht ohne den Dienst der Versöhnung

In wenigen Tagen startet der neue Versöhnungsweg in die Ukraine. Warum Holocaust-Gedenken mitten im Krieg? Hans-Joachim Scholz zu einer Frage, die ihm häufiger gestellt wird.

Abendsonne auf dem 2023 neu hergerichteten Holocaust-Denkmal in Sabolotiw (Ukraine).

„Warum macht ihr den Holocaust zum Thema, wo die Leute in der Ukraine doch aktuell mit der russischen Bedrohung, mit Zerstörung, Tod und Flucht zu tun haben?“

Diese Frage wird uns immer wieder gestellt – auch jetzt, unmittelbar vor unserer Abreise zum Versöhnungsweg in die Ukraine. In wenigen Tagen, am Montag, 19. August, treffen wir uns mit 17 Teilnehmern in Šahy an der slowakischen Grenze zu Ungarn, um dann vom 20.-28 August auf den Spuren der 1941 deportierten galizischen Juden über Budapest nach Uschgorod, Kolomea, Sabolotiw und Kamjanez-Podilskyj (Ukraine) zu fahren. In jeder dieser Städte treffen wir Rabbis, Priester, Pastoren, Bischöfe, messianische Leiter, um an diese erste massive Judenverfolgung und -vernichtung zu erinnern, die knapp ein halbes Jahr vor der Wannsee-Konferenz stattfand: Am 27. und 28. August 1941 ist die Ermordung von 23.600 Juden in Kamjanez-Podilskyj durch das deutsche Polizeibatallion 320 dokumentiert.

Ja, warum also tun wir das?

Weil Gottes Frieden durch den Dienst der Versöhnung kommt: „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korintherbrief, Kap. 5, V. 19-20). Es sind schließlich die Sünden, die Menschen und ganze Völker von Gott und seinem Frieden trennen. Dazu gehört nicht zuletzt die Sünde des Antisemitismus.

Bei unseren Besuchen in der Ukraine sind wir auf die unbewältigte Geschichte des Massenmordes an den Juden gestoßen: Es sind Orte mit sehr großen jüdischen Friedhöfen, aber keinen Juden. Massengräber wie Fußballfelder und die prägende Erfahrung der Menschen: Wir waren auch immer Opfer der Geschichte. Und Opfer haben kein Empfinden für das Leid anderer Opfer. „Wir haben auch gelitten, besonders unter den Kommunisten!“, sagen nicht wenige Geistliche und decken damit den Holocaust zu. Andererseits stellen sie die Frage: „ Woher bekommen wir die Kraft, diese Bedrohung, diese Aggression Russlands, das Leid der Toten und Verwundeten und Vertriebenen zu ertragen und den Hass zu überwinden?“

Jüdischer Friedhof in Sabolotiw (Ukraine).

Wir heben die Decke des Schweigens hoch! Auf unserer Versöhnungsreise werden wir die Erinnerung an die ermordeten Juden und das Gedenken an die Opfer mit Worten, Gesten und Musik gestalten. Wir werden bekennen, dass Antisemitismus Sünde gegen Gottes Augapfel ist (vgl. Sacharja, Kap. 2, V. 12) und dass die Erwählung Israels ein zentrales Merkmal unseres christlichen Glaubens ist. Erst dann kommt das Gebet für die Ukraine.

Wir haben als GGE – neben anderen geistlichen Initiativen – seit den 1990er-Jahren immer wieder für die deutsche Schuld um Vergebung gebeten. Unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat erst vor wenigen Tagen in Warschau mit seiner sehr persönlichen Bitte um Vergebung gezeigt, dass wir damit noch nicht fertig sind. Unsere Nachbarn im mittleren Osteuropa haben kaum damit begonnen.

Woher kommt der Friede, die Kraft zu Versöhnung und Vergebung? Wir dürfen uns bewusst sein, dass Gott, der Vater Jesu Christi, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, ganz bestimmt eine noch größere Sehnsucht hat, Frieden zu schenken, als wir sie verspüren! Das jüdische Gebet Oseh schalom bim romav drückt es aus: „Der Frieden schafft in der Höh, der schaffe auch Frieden für uns alle und für ganz Israel und wir sagen: Amen!“

Dafür werden wir in einer Zeit, in der der neue Antisemitismus auch in Deutschland sein dämonisches Haupt erhebt (und zugleich seine Verharmlosung betrieben wird), besonderen Bedarf haben. Geistliche Gemeinde-Erneuerung befähigt zum Dienst der Versöhnung und umgekehrt: Der Dienst der Versöhnung erneuert unsere Gemeinden!

Wir bitten euch um euer Gebet für diese Versöhnungswege in die Ukraine und danken euch dafür!


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Hans-Joachim Scholz

Hans-Joachim Scholz ist Pfarrer in der badischen Landeskirche und seit Kurzem im Ruhestand. Er und seine Frau Rita leiten den GGE-Dienst „Kirche und Israel“, weil beides für sie unbedingt zusammengehört.

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